Was heute unter dem Begriff Industrie 4.0 zusammengefasst wird, lebt der Automatisierungsspezialist B&R seit Jahren in der eigenen Produktion. Die durchgehend vernetzte Smart Factory ist im österreichischen Eggelsberg seit 2006 Realität und wird laufend erweitert.
Das jüngste Projekt der digitalen Fabrik von B&R ist die Optimierung der Industrie-PC-Fertigung. Der Kunde stellt sich in einem Online-Konfigurator exakt den PC zusammen, den er für seine Bedürfnisse braucht. Das ERP-System prüft, ob die Zusammenstellung plausibel ist und erstellt automatisch eine Stückliste, die mit einer eindeutigen Seriennummer verknüpft wird.
Mehr als 250 Mrd. Möglichkeiten
„Der Kunde hat rein rechnerisch die Möglichkeit, sich eine von mehr als 250 Milliarden unterschiedlichen Hardware-Konfigurationen auszusuchen“, rechnet Gerald Haas, Leiter Global Industrial Management bei B&R, vor. Dazu kommen unzählige Software-Optionen. Die meisten Bestellungen umfassen Stückzahlen im 2- oder 3-stelligen Bereich. „Für unsere Produktion spielt die Auftragsgröße keine Rolle, wir wickeln eine Bestellung von 1.000 Stück ebenso effizient ab wie Losgröße 1.“
Das ERP-System plant die Abarbeitung der Aufträge und stellt eine reibungslose Logistik sicher. Werden Teile aus dem Lager benötigt, werden diese Just-in-time in die Produktionshalle geliefert. Dabei kommt ein Vorteil der Smart Factory von B&R zum Zug: Das Werk in Eggelsberg ist horizontal und vertikal komplett vernetzt.
Ein einziges homogenes Netzwerk
„Das besondere an unserer Lösung ist, dass wir nicht viele Subnetze mehr oder weniger gut über Schnittstellen aneinander gekoppelt haben“, betont Haas. „Wir haben ein homogenes Netz, in dem jede Maschine, alle Komponenten der Gebäudeautomatisierung und das ERP-System hängen.“ So ist es möglich, dass das ERP-System die einzelnen Regalbediengeräte des Hochregallagers steuern kann. Auf Basis aktueller und zu erwartender Auftragseingänge sortiert das ERP-System Materialien im Hochregallager um und löst gegebenenfalls Nachbestellungen aus.
Läuft eine PC-Bestellung beim Arbeitsplatz eines Werkers auf, sind bereits alle nötigen Bauteile in Griffweite. Mit Bildschirmanweisungen und Lichtsignalen wird der Werker beim Zusammenbauen jedes individuellen PCs unterstützt. Die Arbeitsplätze sind ergonomisch gestaltet, die Arbeitsflächen lassen sich einfach an unterschiedlich große Mitarbeiter anpassen.
Während und nach der Assemblierung wird jeder PC mehrfach getestet. Dabei wird die korrekte Montage überprüft, CPU und Arbeitsspeicher werden Funktions- und Belastungstests unterzogen. Erst wenn alle Tests positiv abgeschlossen sind, wird im ERP-System automatisch eine Freigabe für den Versand des PCs gesetzt. „Unsere Kunden sollen schließlich ein perfekt funktionierendes Produkt erhalten“, erklärt Peter Gucher, General Manager International bei B&R.
Lückenlos zurückverfolgen
„Funktionstests sind keine Erfindung von B&R“, sagt Gucher, „nahezu einzigartig dürfte jedoch die lückenlose Rückverfolgbarkeit für jedes einzelne Produkt sein.“ Alle Produktionsschritte, Tests und wichtige Vormaterialien lassen sich jederzeit nachvollziehen. Die Traceability erstreckt sich auf den ganzen Lebenszyklus: Anhand der Seriennummer des PCs lässt sich auch Jahre nach der Produktion jeder Funktionstest abrufen und jede Teilkomponente eindeutig identifizieren.
„Das gibt auch unseren Kunden zusätzliche Sicherheit“, erklärt Gucher. Auf seiner Internetseite stellt B&R ein Service-Portal bereit, mit dem Kunden technische und kaufmännische Daten einer Komponente anhand der Seriennummer abrufen können. Dazu gehören Versionsinformationen, Auslieferungsdatum, Gewährleistungsstatus und vieles mehr. „Das erspart dem Kunden gegebenenfalls viel Zeit und Arbeit.“
Änderungen in Echtzeit
Die Kommunikation in der vernetzten Fabrik funktioniert in alle Richtungen. „Das lässt sich gut am Beispiel unserer X20-I/O-Module veranschaulichen“, sagt Haas. Derzeit werden mehr als 200 Modultypen in unterschiedlichen Fertigungslinien produziert. Kommt ein Modul in die vollautomatische Montage-, Test- und Beschriftungszelle, wird in Echtzeit in SAP abgefragt, welche Tests nötig sind. Sekundenbruchteile später setzt die Maschine die erhaltenen Informationen um. Das ist möglich, da jedes Produkt über eine Seriennummer eindeutig identifiziert werden kann.
Wenn ein Mitarbeiter der Entwicklungsabteilung in SAP vermerkt, dass ein Modul ein bestimmtes Zertifikat erhalten hat und dieser Modultyp wird Sekunden später beschriftet, wird das entsprechende Zertifikats-Symbol bereits auf das Gehäuse gelasert. „Das ist Smart Factory in Reinform“, sagt Haas. In einer vollvernetzten und intelligenten Produktion fallen zahlreiche Daten an. Bei größeren Anlagen bewegen sich die gesammelten Daten schnell im Giga- oder gar Terabyte-Bereich. „Eine automatisierte Analyse und Aufbereitung ist Basis für fundierte Entscheidungen“, sagt Gucher. Daher werden alle Daten vom B&R-Leitsystem APROL erfasst und ausgewertet.
OEE-Kennzahlen jederzeit verfügbar
Kennzahlen wie die Gesamtanlageneffektivität (OEE) sind jederzeit in APROL ersichtlich und lassen sich zwischen einzelnen Linien, Tagen oder Schichten vergleichen. „Auch unseren Energieverbrauch haben wir so ständig im Blick und bemerken sofort, wenn es irgendwo Unstimmigkeiten gibt“, erklärt Haas. So lassen sich Probleme leicht erkennen und beheben.
Auch bei der Wartung beschreitet B&R neue Wege: Mit Condition-Monitoring-Werkzeugen aus dem eigenen Produktportfolio wird bestimmt, wann der ideale Zeitpunkt für Wartungen ist. Maschinenschäden und frühzeitiger Austausch von Komponenten werden somit vermieden. Bewegen sich bestimmte Werte außerhalb des Sollbereiches, wird ein Mitarbeiter automatisch per E-Mail informiert. Er kann eingreifen, bevor ein Maschinenteil kaputt geht und die Fertigung unplanmäßig stillsteht.
Industrie 4.0 im Alltag
„Für B&R ist die vernetzte Fertigung in der Smart Factory seit 2006 Realität“, sagt Haas. „Was für uns Alltag ist, hat nur einen Namen bekommen: Industrie 4.0.“